Die Karriere: Streben wir heute (auch) noch danach?
Die Arbeitswelt befindet sich in einem ständigen strukturellen Wandel, der sich in den letzten Jahrzehnten, zeitgleich zu Phänomenen wie der Digitalisierung und Globalisierung, immer mehr zu beschleunigen scheint. Während vor 30 Jahren noch selbstverständlich war, was unter „Karriere machen“ zu verstehen ist, scheint die Bedeutung dieser Phrase spätestens mit Generation Y schwammiger zu werden. Ansprüche und Erwartungen an Arbeit, Beruf und Karriere haben sich über die Jahre grundlegend verändert und vervielfältigt. Wir sind dem wie und warum dahinter auf den Grund gegangen.
Der Entstehungsweg einer Karriere
Kinder träumen oft davon, Abenteurer:in, Pilot*in oder Austronaut:in zu werden. Nach dem Schulabschluss entscheiden sich Jugendliche dann aber doch meistens für realistischere Ausbildungen, die sie schließlich anfangen, abbrechen oder abschließen. Anschließend bemühen sie sich um eine Festanstellung und arbeiten sich dann im bevorzugten Konzern nach oben: was man unter einer Karriere versteht.
Die Karriere: Ein historisch gewachsenes Konstrukt
„Jahrhundert-Einfluss“ der Familie
So galt das zumindest für den Großteil der Gesellschaft in den letzten 200 Jahren. Davor war der Begriff wie wir ihn heute kennen sowieso unbekannt. Zu Zeiten der Ständegesellschaft übernahmen Menschen (bzw. hauptsächlich Männer) meist die Profession ihres Vaters, Aufstiegschancen gab es nur wenige - die Karriereleiter stand eher horizontal als vertikal. Wer als Bäckerssohn geboren wurde, wurde Bäcker, wer Müllersohn war, wurde Müller.
Erste Wende durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert
Das änderte sich vor allem mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Großkonzerne entstanden mit dem Versprechen, ihren Arbeiter:innen Aufstieg und Wohlstand zu ermöglichen.
Das Konzept der Karriere und dem erfolgreichen „Hocharbeiten“ war geboren.
Vor allem in Amerika etablierte sich der Mythos um „From Rags to Riches“, oder „vom Tellerwäscher zum Millionär“, wie die Redewendung im deutschsprachigen Raum bekannt ist. Selbstverwirklichung wurde zusehends mit Arbeit verknüpft und Man(n) identifizierte sich zusehends mit dem eigenen Unternehmen. Stolz wurde kundgetan, einen Job bei Thyssenkrupp oder Volkswagen zu haben.
Die Bedeutung einer Karriere nimmt mit der Nachkriegsgeneration zu
Die Vorstellung von einer erfolgreichen Karriere meißelte sich vor allem durch die tüchtige Nachkriegsgeneration, den sogenannten Babyboomern (oder „Boomer“, wie junge Menschen heute etwas abfällig sagen) in Stein.
Mit wachsendem Wohlstands- und Wirtschaftswachstum galt die Karriere zunehmend als unabdingbarer Bestandteil des Lebensentwurfs und dessen Verwirklichung.
„Lern was gescheites!“ schallte es auch in Österreich durch die Kinderzimmer der 1960er- bis 1980er-Jahre. Parallel zum Erfolg im Job ging
- das Ehe schließen,
- Hausbauen,
- Auto kaufen und
- Kinder kriegen einher.
Es entstand ein Wertekomplex, der sich heute immer mehr im Wandel befindet.
Karriere machen – wer will das eigentlich noch?
Die klassische Karriere, wie sie die Babyboomer-Generation kennt, verliert heute zunehmend an Bedeutung.
Vor allem junge Menschen wollen nicht mehr ihr ganzes Berufsleben innerhalb eines Unternehmens und an einem Standort verbringen. Und wie auch? In einer Welt, die von so viel Wandel und neuen Möglichkeiten geprägt ist, sind lineare Karrieren kaum mehr denkbar. Man denke dabei vor allem an Branchen, die früher felsenfeste Perspektiven ermöglichten und heute vor allem durch ihre prekären Arbeitsverhältnisse bekannt sind.
Dazu zählt zum Beispiel die Gastronomie:
Jahrzehntelang wurde ihr ganz nach dem Motto „Gegessen und getrunken wird immer“ Job-Sicherheit nachgesagt. Heute gilt sie zu den unsichersten Sparten – es fehlen Fachkräfte, Arbeiter:innen springen von Betrieb zu Betrieb und vor allem die mangelhafte Entlohnung ist ein großer Kritikpunkt, der für die Krisensituation der Branche verantwortlich gemacht wird.
Sei es die Teuerung oder steigende Mietpreise:
Die heutigen Verhältnisse führen dazu, dass Löhne, die früher noch eine Kleinfamilie ernähren konnten, heute nicht mal dazu ausreichen, um als Single über die Runden zu kommen.
Das hat sich spätestens mit der Corona-Pandemie schwerwiegend unter Beweis gestellt. Viele vor allem junge Gastronom*innen mussten aufgrund der zahlreichen Schließungen ihren Job aufgeben und sich neu orientieren. Auch Unternehmer:innen innerhalb der Branche warfen situationsbedingt das Handtuch. Heute steht die Gastronomie vor Herausforderungen, die vor 20 Jahren noch undenkbar waren.
Die Lehre: früher Wunsch-, heute Stiefkind
Durch die Technisierung und Automatisierung der Arbeitswelt befinden sich neben der Gastronomie auch viele andere Branchen in der Krise. Dazu zählen auch technische und handwerkliche Berufe. Neben der Tatsache, dass Mensch zunehmend von Maschine ersetzt wird, haben klassische handwerkliche Lehrberufe auch an Prestige verloren:
50% der heutigen Schulabsolventen beginnt zu studieren
Früher galt es vor allem noch auf dem Land als üblich, die Karriere in einem lokalen Handwerksbetrieb ins Laufen zu bringen. Heute wird die akademische Laufbahn zumindest bis zum Bachelor immer üblicher. Über 50% der heutigen Schulabsolventen beginnt zu studieren – viele auch über den zweiten oder dritten Bildungsweg.
Ursachen für den Lehrlingsmangel
Vor allem kleinen und mittleren Unternehmen bereitet dies zunehmend Probleme. In Österreich gehen immer weniger Absolvent:innen in die Lehre, vor allem Handwerksbetrieben mangelt es an Nachwuchs. Dabei hält sich vor allem das Gerücht, dass in der Lehre wenig verdient wird – was oft nicht der Fall ist.
Neben der Angst um schlechte Bezahlung dürfte es aber vor allem auch der Paradigmenwechsel der Generationen Y und spätestens Z sein, der den Lehrlingsmangel verursacht. Im dörflichen Gebiet zu bleiben und sich auf einen Berufsweg festzulegen, wird in diesen Altersklassen zunehmend unattraktiver: Kaum noch jemand hat Lust, sich mit 16 für einen vorgefertigten Lebensweg entscheiden zu müssen.
New Work und Job Hopping: Mehr Freiheit, weniger Sicherheit
Das liegt vor allem auch daran, dass sich die Möglichkeiten, wie, wo und wann gearbeitet wird, im Zeitalter der Digitalisierung grundsätzlich verändert haben. Vor allem im Dienstleistungssektor nimmt „New Work“ einen immer höheren Stellenwert ein.
Was bedeutet „New Work“?
„New Work“ bezeichnet Arbeit „on remote“ - also ohne an einen gewissen Standort gebunden zu sein. Das ermöglicht uns das Internet: vor allem in der wachsenden Informations- oder auch Medienbranche benötigen Arbeitnehmer:innen lediglich ein Notebook und W-Lan, um ihre Tätigkeiten und Geschäfte abzuwickeln.
Was wollen qualifizierte Fachkräfte von heute und morgen?
Attraktive Benefits für Mitarbeiter:innen
Auch die klassische 5-Tage- oder 40-Stunden-Woche ist im Begriff, sich als Standard aufzulösen – immer mehr Arbeitnehmer:innen fordern flexiblere und stressfreiere Arbeitszeiten wie Gleitzeit oder Teilzeit (Stichwort: 4-Tage-Woche). Allgemein scheint mehr Bewusstsein für eine gesündere „Work-Life-Balance“ zu entstehen, der Arbeitgeber:innen auch immer mehr nachkommen müssen, um talentiertes Fachpersonal für ihren Betrieb zu akquirieren.
Bindungsängste für eine langjährige Firmenzugehörigkeit?
Auch der firmeninterne Aufstieg wird seltener, immer weniger junge Erwachsene entscheiden sich dafür, sich dauerhaft an eine bestimmte Firma binden zu wollen. Ähnlich wie in Beziehungen entstehen auch beim Job „Bindungsängste“ – immerhin gilt es, sich stets alle Optionen offen zu halten.
Veränderungen in der Arbeitswelt bergen jedoch große Chancen
Wer im Laufe der beruflichen Laufbahn bemerkt, dass der Beruf nicht erfüllend ist, kann sich leicht neu orientieren. Das war früher schwerer. Nicht selten hört man die eigenen Großeltern seufzen: „Ach hätte ich doch damals was anderes gelernt!“.
Die heutige Arbeitswelt lädt also dazu ein,
- mutig zu sein,
- sich auszuprobieren,
- etwas zu wagen.
Viele finanziell erfolgreiche Karrierist:innen sind geradezu stolz darauf, wie viele Startups sie gegen die Wand gefahren oder wie viele Studiengänge sie abgebrochen haben, bevor sie ihren großen Durchbruch hatten.
… aber auch Risiken
Dennoch muss gesagt werden, dass diese Vielfalt der Karriereoptionen auch zu Unsicherheit und Hindernissen führt: Viele junge Menschen klagen über Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit – eine Negativentwicklung, die laut Psycholog*innen auch die moderne Arbeitswelt mit sich bringt. Auch mentale Erkrankungen wie Depression und Angststörungen häufen sich besonders als Folge von zu hoher Arbeitsbelastung.
Arbeit, Beruf oder Berufung – wem bedeutet Arbeit was?
Auch wenn sich viele Aspekte der Arbeitswelt geändert haben, ist es oftmals eine ganz individuelle Entscheidung, welchen Stellenwert der Beruf im Leben einnimmt.
- Viele tragen ihren Jobtitel mit Stolz und orientieren ihr Leben an der Karriere.
- Andere bevorzugen es, die Arbeit als notwendiges „Übel“ zu betrachten, das Geld in die Tasche bringt.
Spaß am Job als Lebensziel - das galt vor vielen Generationen und ist es wohl auch noch heute. Grund genug, um zum Abschluss noch einmal die Definitionen der verschiedenen Begrifflichkeiten rund um die Arbeit anzuführen:
Unterschiede: Job, Beruf & Berufung
1. Der Job
Der Job ist meistens ein sehr sachlicher Begriff, um die Erwerbstätigkeit zu beschreiben. Ein Job kann auch eine kurzfristige Tätigkeit darstellen, wenn „schnell mal ein Job erledigt“ werden muss. Oftmals geht mit dem Begriff eine recht nüchterne Betrachtung von Lohnarbeit einher – es wird gearbeitet, um Geld zu verdienen.
2. Der Beruf
Im Gegensatz zum Job wird mit dem Begriff Beruf eher etwas Positives verbunden – er dient als persönliches Aushängeschild, steht auf der Visitenkarte und hat Identifikationspotenzial: Der Beruf ist Teil der individuellen Selbstverwirklichung. Oft geht mit dem Beruf auch eine Ausbildung einher, was bedeutet, dass er etwas darstellt, auf das man bereits „hinarbeitet“, sprich: über dessen Wahl man sich lange Gedanken gemacht hat.
3. Die Berufung
Die Berufung bezeichnet einen etwas abstrakteren Begriff, den vor allem karriereorientierte Menschen wählen, um ihren Job zu beschreiben. Sie fühlen sich dazu „berufen“, einen bestimmten Lebens- und Karriereweg einzuschlagen und dementsprechend einen bestimmten Beruf auszuüben. Meistens geht mit der Berufung auch ein angeborenes Talent einher – Menschen, die in ihrer Arbeit eine Berufung sehen, sehen ihre Arbeit meistens auch als erfüllend an. Bei der Berufung handelt es sich somit häufig um den gewünschten Traumjob.
UNSER FAZIT ZUR „KARRIERE“
Egal ob Job, Beruf, oder Berufung – im Endeffekt muss jeder Mensch für sich selbst entscheiden, wie viel Energie und Herzblut er in seine Karriere steckt.
Wichtig ist vor allem, sich die eigenen Ansprüche, Ziele, aber auch Grenzen stets vor Augen zu halten. In der Gesellschaft steigt das Bewusstsein, wie vor allem Arbeit die mentale Gesundheit beeinflussen kann. Wer beim Arbeiten die eigenen Bedürfnisse außer Acht lässt, muss früher oder später die Konsequenzen tragen. Nicht umsonst wird der Burnout, worunter arbeitsbedingte Erschöpfungssymptomatiken zusammengefasst werden, mittlerweile als „Volkskrankheit“ bezeichnet. Wichtig ist also, auch bei der Selbstverwirklichung stets auf das „Selbst“ zu achten.
Ganz generell sollten wir unsere Arbeit definieren und nicht unsere Arbeit uns. Auch Marylin Monroe wusste: „Karriere ist etwas Herrliches, aber man kann sich nicht in einer kalten Nacht an ihr wärmen.“